MEGaPhon

Vereinszeitung der Milton Erickson Gesellschaft

 Nr. 58

Wo Rosinen picken mal erlaubt sein muss…
Zur
 Interventionsforschung im Jahr 2024

Artikel von

Dr. Maria Hagl

Anzeige

An dieser Stelle lamentiere ich immer mal wieder über die durchwachsene methodische Qualität der neu publizierten randomisierten kontrollierten Studien (randomized controlled trials; RCTs) und Metaanalysen. Zum Beispiel über schwache Kontrollgruppen, die der experimentellen Intervention (also in unserem Fall der Hypnose) einen unfairen Vorteil verschaffen – was Methodenkritiker*innen einst überspitzt „intent-to-fail“ genannt haben (Westen et al., 2005, S. 651). Oder über Metaanalysen, die zwei oder drei Primärstudien zusammenrechnen. Spoiler: Im Jahr 2024 ist wieder alles dabei!

Weil es keinen Sinn macht, ohne Not (also ohne den Anlass einer indikationsbezogenen Fragestellung) die Interventionsforschung eines Jahres systematisch durchzukritisieren (denn das tut sich ja auch keine andere Therapieschule in der Form an), picke ich uns jedes Jahr die Rosinen raus. Das ist dann ein bisschen wie bei der Achtsamkeits-Grundübung à la Kabat-Zinn (z.B. 1990): Es geht nicht darum, dass alles schmeckt, doch das vertiefte Lesen lohnt in jedem Fall.

Man sollte aber immer auf dem Schirm haben, dass es eine Form von Bias ist, sich die Rosinen aus dem Kuchen zu picken… über den Kuchen in seiner Gesamtheit lassen sich so keine fundierten Aussagen treffen. Damit frönt also der jährliche Überblick in der Hypnose-ZHH – und noch viel mehr dieses kurze Streiflicht im MEGaPhon – im Prinzip einer Form von reporting bias: Ähnlich wie aus manchen Studien nur die signifikanten Ergebnisse publiziert werden und solche Outcomes, bei denen sich kein signifikanter Effekt ergab, gerne mal unter den Tisch fallen, gehe ich nur auf die besonders gut gemachten Studien näher ein. Und es kommt noch schlimmer, denn aus reinem Selbstschutz betreibe ich davor schon eine Art von sampling bias, indem ich a) nur solche Artikel berücksichtige, die in Fachzeitschriften mit zumindest nominellem Gutachtenverfahren erschienen sind, und b) nur noch in drei halbwegs kuratierten Datenbanken recherchiere (und z.B. nicht per Google Scholar). Eben wegen dieser Konzentration auf die in diesem Fall positive Spitze des Eisbergs ist es wichtig, auch immer an diverse methodische Untiefen bei den nicht besprochenen Arbeiten zu erinnern.

Jetzt aber zu den Rosinen im Jahr 2024: Ein besonderes Schmankerl ist die Publikation des an zwei Studiencentern (Tübingen und Hamburg) angelegten und methodisch sehr sorgfältig durchgeführten RCTs zur Raucherentwöhnung bei insgesamt 360 Teilnehmenden von Batra et al. (2024). Verglichen wurde ein auf zwei Manualen basierendes hypnotherapeutisches Gruppenformat in sechs wöchentlichen Sitzungen (siehe z.B. Gerl et al., 2023) mit einem kognitiv-verhaltenstherapeutischen Gruppenformat in gleicher Dosis. Das primäre Outcome, mit dem der Therapieerfolg gemessen wurde, war kontinuierliches Nichtrauchen bis zum Follow-up nach einem Jahr. KVT war dabei der Hypnotherapie insgesamt nicht überlegen. Umgekehrt wirkte aber auch Hypnotherapie weder besser, noch nachhaltiger. Und es könnte sein, dass in der Hypnosebedingung manche der Teilnehmenden in ihren hohen Erwartungen enttäuscht wurden, so die Autor*innen in der Diskussion eines der Ergebnisse hinsichtlich der Prädiktoren für den Therapieerfolg. Denn tatsächlich war die vor der Randomisierung abgefragte Erwartung zur Wirksamkeit der beiden Therapieformen für Hypnose insgesamt höher als für KVT, was sich aber generell als negativer Prädiktor für den späteren Therapieerfolg erwies, während Vertrauen in die Wirksamkeit von KVT sich positiv auszuwirken schien. Es lohnt also weitere Forschung, für wen ein Rauchstopp per Hypnose besonders gut passt und wie eine positive Erwartungshaltung optimal genutzt werden kann.

© Maria Hagl

Das letzte Jahr glänzte außerdem mit einer methodisch besonders sorgfältigen und umfassenden Metaanalyse: Jones et al. (2024) zu Hypnose als Adjunkt bei unterschiedlichen Arten von klinisch relevanten Schmerzzuständen. Insgesamt 70 RCTs mit zusammen über 6000 Teilnehmenden wurden in die Berechnungen inkludiert und dabei sinnvoll gruppiert, je nach Indikationskategorie und Behandlung, die durch Hypnose ergänzt wurde. Die größten Datensätze ergaben sich für akute Schmerzen bei medizinischen Prozeduren wie Operationen und für chronische Schmerzen allgemein. In Kombination mit bzw. im Vergleich zu medizinischer Standardversorgung allein ergab sich jeweils ein kleiner, aber signifikanter Effekt. Dass Hypnose hier eine hilfreiche Ergänzung sein kann, würde niemand mehr bestreiten wollen. Wurden jedoch nur solche Studien betrachtet, in denen in der Kontrollgruppe für die zusätzliche Aufmerksamkeit kontrolliert wurde, also das Engagement bei der Intervention zumindest in den Augen der Teilnehmenden ähnlich hoch war, blieb der signifikante Effekt nur bei prozeduralen Schmerzen bestehen. Bei den wenigen Studien zu chronischen Schmerzen mit einer derartig ausgefeilten Kontrollgruppe ließ sich im Mittel kein Effekt der zusätzlich gegebenen Hypnose nachweisen. Jones und Kolleg*innen diskutieren das so, dass die grundsätzlich in Studien gefundenen analgetischen Effekte von Hypnose zum Teil durch kontextuelle Faktoren wie vermehrte Betreuung oder eine höhere Erwartungshaltung mitbedingt sein könnten, und fordern – womit wir wieder am Anfang wären – besser geplante Kontrollgruppen, die solchen Einflüssen Rechnung tragen.

Mehr dazu und zu allen Highlights der Publikationen im vergangenen Jahr in der diesjährigen Hypnose-ZHH: Hagl, M. (im Druck). Studien zur Wirksamkeit von klinischer Hypnose und Hypnotherapie im Jahr 2024. Hypnose-ZHH, 20 (1+2).