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Vereinszeitung der Milton Erickson Gesellschaft

 Nr. 58

Strukturierte Kurzzeithypnotherapie
Vom Spitzensport lernen – Was Psychotherapie mit gezieltem Training zu tun hat

Artikel von

Dr. Christian Schwegler

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Wenn Profisportler:innen vor einem wichtigen Wettkampf stehen, bereiten sie sich akribisch auf diesen Tag vor. Sie entwerfen einen Trainingsplan und überlegen genau, wann welche Fähigkeiten trainiert werden – Schnelligkeit, Ausdauer, Kraft und Technik. Alles hat Einfluss auf das Ergebnis. Doch nicht nur was trainiert wird ist entscheidend, sondern auch wann welche Einheiten stattfinden, damit möglichst viele Synergieeffekte im Training entstehen.

Eine bekannte Anekdote erzählt von David Beckham: Für ein Fotoshooting trainierte er einige Wochen lang intensiv seinen Oberkörper und baute sichtbar Muskelmasse auf. Dies führte jedoch dazu, dass er an Schnelligkeit verlor und deutlich schlechter Fußball spielte, sehr zum Ärger seines Vereins.

#Beim Sport sind die Effekte zielgerichteten Trainings gut sichtbar. In der Psychotherapie ist das anders. Hier gibt es keine Wettkämpfe und meist keine objektive Evaluation – die Arbeit findet in einer Art Blackbox zwischen Patient:in und Therapeut:in statt. Dennoch gehen viele von uns davon aus, gute oder sogar sehr gute Therapeut:innen zu sein, und wir haben das Gefühl, mit zunehmender Erfahrung immer besser zu werden.

Aus diesem Traum wurde ich 2015 gerissen, als ich an einem Seminar von Scott D. Miller teilnahm. Dort stellte er uns die Forschung von K. Anders Ericsson vor, einem Psychologieprofessor der Florida State University, der sich zeitlebens mit dem Thema Exzellenz beschäftigte. In einer zehnjährigen Langzeitstudie fand Ericsson heraus, dass Psychotherapeut:innen zwar relativ schnell an Erfahrung gewinnen, aber bereits nach zwei bis drei Jahren nahe an ihrem Leistungsmaximum sind. Es folgt eine Plateauphase von fünf bis sieben Jahren – und danach geht es für die meisten nur noch bergab. Weitere Berufsjahre können Routine, sinkende Motivation und „Professional Blindness“ nicht mehr kompensieren.

Doch es gab Ausnahmen: Eine Gruppe von Therapeut:innen, die sich kontinuierlich verbesserten. Ericsson untersuchte, was diese anders machten und stellte fest: Sie trainierten ihre Fähigkeiten kontinuierlich, zielgerichtet und lebenslang weiter. Genau wie Spitzensportler:innen, Schachspieler:innen oder Chirurg:innen.

Eine weitere Anekdote aus dem Sport: Bei den Olympischen Winterspielen 2006 in Turin analysierte Ericsson das Training der Eiskunstläufer:innen. Er vermutete, dass diejenigen, die am härtesten trainieren, die besten Plätze erzielen würden. Doch das traf nicht zu. Trainingsfleiß korrelierte nicht mit dem Wettbewerbserfolg – aber ein anderer Faktor tat es: Diejenigen, die im Training am häufigsten stürzten, belegten am Ende die besten Plätze. Sie trainierten gezielt das, was sie noch nicht konnten, verließen ihre Komfortzone und setzten sich neuen Herausforderungen aus, auch auf die Gefahr hin zu scheitern.

Foto von Tima Miroshnichenko

Das wohl bekannteste Zitat Ericssons bringt diese Erkenntnis auf den Punkt – für Sport wie für Psychotherapie:

„If you want to improve your skills, you have to do deliberate practice, beyond your own comfort zone.“ 

Auf Deutsch: Wenn du deine Fähigkeiten verbessern möchtest, musst du gezielt über deine Komfortzone hinaus trainieren.

Doch wie sieht das für uns Psychotherapeut:innen konkret aus?

Psychotherapie als gezieltes Training

Bleiben wir noch einen Moment beim Sport: Sportler:innen trainieren verschiedene Fähigkeiten wie z.B. Schnelligkeit, Ausdauer, Technik und Kraft, um beim Turnier die beste Leistung zu bringen. Unsere „Turnierleistung“ ist die optimale therapeutische Unterstützung, um Patient:innen zu helfen, ihren bestmöglichen Zustand zu erreichen.

Glücklicherweise gibt es zur Effektivität von Psychotherapie bereits umfassende Forschung. Im deutschsprachigen Raum hat Prof. Klaus Grawe fünf zentrale Wirkfaktoren beschrieben, die den Erfolg einer Psychotherapie maßgeblich bestimmen:

  1. Ressourcenaktivierung
    Die Therapie nutzt die Stärken, Potenziale und positiven Erfahrungen der Klient:innen. Ziel ist die bewusste Integration dieser Ressourcen zur Stärkung der Resilienz.

  2. Problemaktualisierung
    Probleme werden nicht nur besprochen, sondern emotional erlebt – z.B. durch Imagination, Rollenspiel oder Konfrontation.

  3. Motivationale Klärung
    Klient:innen gewinnen Einsicht in eigene Wünsche, Ziele und Konflikte, wodurch Veränderungsprozesse möglich werden.

  4. Bewältigungskompetenzen fördern
    Neue Strategien zur Problembewältigung wie kognitive Umstrukturierung oder Emotionsregulation werden vermittelt.

  5. Therapeutische Beziehung
    Eine tragfähige, unterstützende Beziehung ist Basis und Katalysator für die übrigen Wirkfaktoren.

Ich möchte diese Liste um vier weitere Punkte ergänzen, die meiner Erfahrung nach ebenfalls einen großen Einfluss auf die Wirksamkeit von Psychotherapie haben:

  1. Positive Heilerwartung
    Der sogenannte „Placeboeffekt“ spielt auch in der Psychotherapie eine Rolle. Die innere Überzeugung „das hilft mir“ ist oft entscheidend für den Erfolg.

  2. Selbstwirksamkeit
    Durch gezieltes Üben, z.B. von Entspannung oder Ressourcenaktivierung, erleben Patient:innen, dass sie selbst Einfluss auf ihr Befinden nehmen können.

  3. Motivation
    Die Bereitschaft, selbst aktiv zu werden, ist zentral, auch gegen Widerstände wie Antriebslosigkeit. Hier ist es unsere Aufgabe, gezielt zu unterstützen.

  4. Kompetenzerleben des/der Therapeut:in
    Nach langen Leidenswegen suchen Patient:innen Hoffnung – in unserem Wissen, unserer Haltung und unserer Ausstrahlung. Diese Faktoren wirken mitunter stärker als jede Technik.

Klaus Ferdinand Hempfling, einer der bekanntesten Pferdetrainer, sagte einmal:

„Wenn ich zu einem traumatisierten Pferd in die Box oder auf die Koppel komme, dann bin ich mir 100% sicher, dass ich diesem Tier helfen kann – und das spürt das Tier!“ 

Ich denke, bei unseren Patient:innen ist das nicht anders.

Foto von Chevanon Photography

Hypnotherapie als Trainingsmethode für Wirkfaktoren

Die Hypnotherapie bringt einige Besonderheiten mit, die sich hervorragend zur Aktivierung dieser Wirkfaktoren eignen:

  • Unser permissiver Sprachstil und das häufige Pacing fördern eine stabile therapeutische Beziehung. Das wortgetreue Wiederholen sorgt dafür, dass sich Patient:innen gesehen, gehört und verstanden fühlen.
  • Die Arbeit mit Suggestionen – insbesondere mit Einstreusuggestionen – ist wirkungsvoll zur Förderung einer positiven Heilerwartung.
  • Das zentrale Instrument ist jedoch der Trancezustand mit seinen vielfältigen Phänomenen, auf denen unsere Methoden aufbauen.

Ein Beispiel: Die Zeitregression ermöglicht es, problematische Situationen emotional „aktualisiert“ zu erleben – ein wichtiger Baustein für den Wirkfaktor Problemaktualisierung.

Auch die anderen Wirkfaktoren lassen sich über hypnotherapeutische Techniken gezielt aktivieren:

  • Ressourcenaktivierung: In Trance können positive Erinnerungen mit allen Sinnen nacherlebt werden.
  • Motivationale Klärung: Stellvertretertechniken und das Trancephänomen der Dissoziation helfen, innere Ambivalenzen zu erkennen.
  • Positive Heilerwartung: Techniken wie „Double Bind – Fail Safe“ von Ernest Rossi nutzen die Ideomotorik, um bereits in der ersten Stunde starke Veränderungserwartungen aufzubauen.

Von der Technik zum Trainingsplan

Wir haben nun die Wirkfaktoren – unsere Ziele – und die hypnotherapeutischen Techniken – unsere Trainingsmethoden. Was uns noch von Spitzensportler:innen unterscheidet, ist der strategische Einsatz zur richtigen Zeit.

Einige Techniken eignen sich besonders für den Einstieg, etwa zum Aufbau der therapeutischen Beziehung oder zur Förderung einer positiven Erwartungshaltung. Andere erfordern tiefere Trancezustände und entfalten ihre Wirkung besser im weiteren Verlauf der Therapie. Wieder andere dienen als „Übungstrancen“, um die Trancefähigkeit der Patient:innen langfristig zu stärken.

Strukturierte, zielgerichtete Psychotherapie bedeutet daher auch: Wann setze ich welche Methode ein, um Synergieeffekte zu nutzen und die größtmögliche Wirkung zu erzielen?

Ich verwende dazu gern das Bild eines Ackers: Zuerst wird gepflügt und gedüngt, dann gesät – in der richtigen Menge, zur richtigen Zeit. Nur wenn die Reihenfolge stimmt, kann am Ende eine reiche Ernte eingefahren werden.

Foto von Tom Fisk

Einladung zur Vertiefung

Ich lade Sie ein, Ihre eigene therapeutische Praxis mit neuen Augen zu betrachten:

Wo trainieren Sie gezielt?
Wo verlassen Sie Ihre Komfortzone?
Wie strukturieren Sie Ihre Therapieprozesse, um Wirkfaktoren systematisch zu aktivieren?

Und wie evaluieren Sie Ihre Arbeit? Es gibt viele einfache und wirksame Möglichkeiten, sich Rückmeldung zu holen – durch Patient:innen, Kolleg:innen oder auch durch Selbstreflexion ohne fremde Hilfe. All das bedeutet zusätzlichen Aufwand und erfordert den Mut, sich aus der gewohnten Komfortzone zu bewegen. Doch genau das führt zu besseren Therapieergebnissen und damit, zumindest meiner Erfahrung nach, auch zu mehr beruflicher Zufriedenheit.

In diesem Artikel konnte ich viele Aspekte nur kurz anreißen. Andere Themen – wie etwa neurobiologische Grundlagen für den strukturierten Aufbau einer Therapie, lerntheoretische Modelle zur Behandlung chronischer Muster (wie Angststörungen oder Schmerzen) oder Erkenntnisse aus der Psychoneuroimmunologie – habe ich bewusst ausgespart, um den Rahmen nicht zu sprengen.

Wenn Sie sich für dieses Thema weiter interessieren und das Rad nicht neu erfinden möchten, lade ich Sie herzlich ein, meine Konzepte in einem Seminar oder in meinem Buch „Strukturierte Kurzzeithypnotherapie – Erfolgreich in 5 Sitzungen“ (erscheint voraussichtlich im Sept./Okt. 2025) näher und ausführlicher kennenzulernen – wissenschaftlich fundiert, praktisch erprobt und auf den Punkt gebracht.