Nr. 57

Kann ChatGPT bald Bauchhypnose?
Zur
 Interventionsforschung im Jahr 2023

Artikel von

Dr. Maria Hagl

In meinem jährlichen ZHH-Beitrag zu den neuen randomisierten kontrollierten Studien (randomized controlled trials; RCTs) geht es manchmal um sich über die Jahre hinweg abzeichnende Trends – auch, weil man aus einem einzigen Jahr Forschung schlecht was sagen kann.

Was natürlich schon länger trendet, ist die Digitalisierung im Gesundheitswesen. Deren Anfänge lagen im Falle der Hypnose in der prädigitalen Frühzeit, weil man sich zur Selbsthypnose gut per Audioaufnahme anleiten lassen bzw. solche Aufnahmen den Patient*innen nach Hause mitgeben kann. Zahlreiche technische Neuerungen und eine Pandemie später laden wir uns das Ganze aufs Handy runter und Kliniker*innen halten hypnotherapeutische Sitzungen übers Internet. Und in der Forschung? Wird der Einsatz von Hypnose-Audios natürlich schon länger evaluiert, weil gerade in der medizinischen Hypnose eine Intervention unaufwendig und günstig sein sollte und nicht immer entsprechend geschultes Personal vor Ort sein kann. Fast schon gierig wurden in den letzten Jahren außerdem Virtual-Reality-Headsets ausprobiert, aber zu selten wurde im direkten Vergleich mit Audios untersucht, ob so ein Geräteaufwand nötig ist – schöner Anwendungsfall für ein Non-Inferiority-Design mal anders herum. Häufigere Forschungsfrage ist, ob sich der persönliche therapeutische Kontakt ohne großen Wirksamkeitsverlust durch Audios oder eben VR-Programme ersetzen lässt, hier lautet die Antwort bisher eindeutig: Kommt darauf an. Zuletzt fanden van den Bergh et al. (2023, mit ebenjenem Design), dass in der Pädiatrie Hypnose per VR-Headset bei Prozeduren wie Blutabnahme der Hypnose durch eine Fachkraft nicht unterlegen war. Für mein Gefühl ist so ein Vergleich aber gerade bei Kindern erst dann nicht mehr unfair, wenn VR-Headsets ein alter Hut sind… ich selber war jedenfalls beim Erstkontakt völlig von den Socken.

Eine gesundheitspolitisch gewollte Digitalisierungsfolge sind Gesundheitsapps wie sie die Krankenkassen zum Teil schon bezahlen (wofür derzeit ein einziger RCT als erster Evidenznachweis reichen kann, vgl. Revenstorf, 2018). Solche „Digitalen Gesundheitsanwendungen“ (DiGAs) sollen  Psychotherapie nicht ersetzen, sondern ergänzen bzw. Wartezeiten auf eine selbige überbrücken. Im Bereich Hypnose fand dazu im letzten Jahr ein US-amerikanischer RCT (Berry et al., 2023) zur Zulassung einer Smartphone-App mit Bauchhypnose bei Reizdarmsyndrom im Vergleich zu einem in Darbietung und Länge analogen Programm mit Muskelentspannung praktisch keinen Vorsprung für die Bauchhypnose. Einem weiteren RCT zu Hypnose-Audios für den Umgang mit chronischen Schmerzen nach überstandener Krebserkrankung im Vergleich zu solchen mit Entspannung erging es leider nicht anders (Eaton et al., 2023). Das wirft die Frage auf, wie sehr sich die spezifischen Wirkfaktoren von Hypnose verdünnen bzw. automatisieren lassen, bevor sie einfach nur eine gute Entspannungsmethode ist.

© Maria Hagl

Solche Fragen der Qualitätssicherung werden neben Datenschutz in den nächsten Jahren umso drängender. Denn bis wir uns dreimal umdrehen, „kann“ ChatGTP Bauchhypnose und klingt dabei womöglich nach uns vertrauten Stimmen. Und weil RCTs ohne Therapeut*innen günstiger sind und sich außerdem online eingegebene Daten einigermaßen schnell auswerten lassen, wird sich auch jemand finden, der das als leidlich wirksam evaluiert.

Beispiele zu RCTs mit Apps, aber auch zu solchen mit ganz persönlicher Therapie, unter anderem einer aus Tübingen zur Behandlung von Agoraphobie (Fuhr et al., 2023), finden sich zusammengefasst in der diesjährigen Hypnose-ZHH: Hagl, M. (im Druck). Studien zur Wirksamkeit von klinischer Hypnose und Hypnotherapie im Jahr 2023. Hypnose-ZHH, 19 (1+2).