Nr. 57
Sunzis Kriegskunst
Artikel von
Bernhard Trenkle
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Der französische Philosoph und Sinologe François Jullien hat ein hervorragendes Buch über chinesisches Denken geschrieben. Das Buch hat den Titel Über die Wirksamkeit. Er beleuchtet darin das chinesische Wort Shi, was große Analogien zum Ericksonschen Utilisationsprinzip und strategischem Therapieansatz hat. Es geht darum das Potential in einer Situation zu erkennen und es für sich strategisch zu nutzen. Es geht dabei im Einzelnen um Handlungsstrategien, Diplomatie, Rhetorik bis hin zu der Kriegskunst von „Sunzi“. Letztlich dreht es sich darum das Potential in einer Situation zu erkennen, ihre Möglichkeiten zu nutzen und mit Leichtigkeit Ziele zu erreichen. In der chinesischen Kriegsphilosophie nach Sunzi ist derjenige ein guter General, der seine Truppen so aufstellt, dass er siegt ohne kämpfen zu müssen. Hier gibt es viele Parallelen zu Ericksonschen Ansätzen. In meinem Buch 3 Bonbons für 5 Jungs sind viele Fallbeispiele für hypno-strategisches Arbeiten. Wie dieses Prinzip Shi gedacht ist, zeigt die folgende Geschichte:
Am ersten Tag nach ihrer Scheidung packte sie traurig ihre Sachen in Kartons, Kisten und Koffer. Am zweiten Tag kam die Umzugsfirma und holte ihre Sachen ab. Am dritten Tag setzte sie sich zum letzten Mal an ihren schönen Esszimmertisch, hörte sich sanfte Hintergrundmusik an und machte es sich mit einem Kilo Shrimps, einer Dose Kaviar, drei Dosen Sardinen und einer Flasche Schampus noch mal gemütlich. Als sie fertig war, ging sie in jedes einzelne Zimmer, tauchte halb angebissene Shrimps in Kaviar und stopfte sie zusammen mit einigen Sardinen in das Rohr der Gardinenstange. Dann säuberte sie die Küche und ging aus dem Haus.
Am vierten Tag kam ihr Exmann mit seiner neuen Freundin zurück, und alles war eine einzige Glückseligkeit. Dann fing das Haus langsam an zu stinken. Sie versuchten alles: reinigen, wischen, lüften. Die Teppiche wurden dampfgereinigt. Sogar nach toten Nagetieren haben sie gesucht. Duft wurde versprüht, Lufterfrischer wurden überall aufgehängt. Der Kammerjäger legte Mausefallen aus. Einmal wurde so viel Duft versprüht, dass sogar der Rauchmelder Alarm schlug. Während dieser Zeit waren die beiden in ein Hotel gezogen. Letzen Endes haben sie sogar den Teppichboden rausgerissen. Nichts hat funktioniert. Inzwischen blieben die Freunde weg und auch sonst kam kein Besuch mehr. Die Handwerker weigerten sich im Haus zu arbeiten und die Putzfrau hatte auch gekündigt.
Schließlich hielten sie den Gestank nicht mehr aus und beschlossen, das Haus zu verkaufen. Als sie nach einem Monat keinen Käufer fanden, halbierten sie den Preis, aber auch das half nicht. Sie fanden einfach keinen Interessenten für das stinkende Haus. Inzwischen weigerten sich sogar die Makler und riefen schon gar nicht mehr zurück. Final wollten sie nicht länger auf einen Käufer warten, gingen zur Bank und nahmen einen Kredit auf, um eine neue Bleibe zu kaufen.
In dieser Zeit rief die Exfrau ihren Exmann an und fragte, wie es denn so läuft. Er erzählte ihr von dem Alptraum des stinkenden Hauses. Sie hörte höflich zu und sagte dann, dass sie ihr altes Zuhause so schrecklich vermisse und bereit wäre, das Haus für einen günstigen Preis zu übernehmen. In der Annahme, dass sie keine Ahnung habe, wie schlimm der Gestank wirklich war, einigten sie sich bei einem Zehntel des Preises, den das Haus wirklich wert war. Er bestand natürlich darauf, alles sofort abzuwickeln. Sie war einverstanden und innerhalb von zwei Stunden hatten sie den ganzen Papierkram beim Notar erledigt.
Eine Woche später sah sie aus sicherer Entfernung amüsiert zu, wie ihr Exmann und seine Freundin mit einer Umzugsfirma das Haus komplett leer räumten und alles ins neue Haus brachten. Sogar die Gardinenstangen haben sie mitgenommen!