Nr. 58
Hypnose - mehr als eine Intervention: Worte in der Psychotherapie
Artikel von

Anne M. Lang
Als die „weise Frau“ der Metaphorik gefragt wurde, was „Worte“ sind, sann sie lange nach und erzählte dann drei Metaphern:
Worte sind wie ein Käfig. Sie fangen die Wirklichkeit ein, um sie überhaupt erst erfassen zu können. Diesen gilt es aber zu öffnen, will man nicht darin gefangen bleiben.
Worte sind wie ein Paket. Sie werden versandt und werden dann vom Empfänger ausgepackt, der sie deutet. Das kann überraschend sein und anders als beabsichtigt.
Worte sind wie Schatzkästchen. Sie können sehr große Kraft geben. Ohne Worte gäbe es oft nicht die Momente, die alles in Bewegung bringen können.
Für Hypnotherapeut*innen sind Worte mehr als nur Worte. Sie bilden Sätze mit Konnotation und Implikationen, d.h. Suggestionen. Fachliche Sensibilität ist also dahingehend zu schärfen. Denn der durchgängige Wortgebrauch macht das Hypno-Vorgehen aus und nicht erst die spezielle Intervention.
Dabei bleibt eine stimmige Ergänzung der Worte wichtig durch Nonverbales wie Gesten, Blicke, und durch Paraverbales wie Tonlage, Pausen und durch die gesamte Beziehungsqualität wie Präsenz, Aufmerksamkeit, Warmherzigkeit, Lachen, Ernsthaftigkeit.

Foto von Markus Winkler
Hier nur einige wenige Aspekte über die erstaunlichen Qualitäten der Worte:
Sind sie einmal ausgesprochen, können sie nicht mehr zurückgenommen werden.
Ihre Aussage und Bedeutung ändern sich, wie am Beispiel von bekannten Zitaten wie „Wir schaffen das!“ gezeigt werden kann. Das gilt auch für persönliche Gefühlsworte wie „Ich liebe dich“ sowie ihre Wirkung, wenn sie zum ersten Mal ausgesprochen werden. Manche bleiben kraftvoll, aber die Zeit ändert ihre Bedeutung. Worte ändern sich auch im Gebrauch. Gut, wenn wir es merken. In einer Familiensitzung sagte der Vater zum Sohn. „Ich möchte, dass du einfach cooler bist.“ Erst als nachgehakt wurde, kam heraus, dass er damit „entspannter“meinte, während der Sohn in seiner Jugendsprache darunter „populärer“ verstand.
Worte sind suggestiv, d.h., sie beeinflussen ihre Nutzer*innen selbst, günstig wie ungünstig. Sie lösen selbsterfüllende Prophezeiungen aus; ungünstige sogar stärker z.B. „Das kann ich nicht“.
Fachlich einordnende Worte wirken sogar auf die Sendenden selbst zurück. So können die eigenen fachlichen Einordnungen die Therapiearbeit einengen. Beispielsweise „das ist ein schwerer Fall der frühkindlichen primären Störung der Ichstruktur“, „das dauert lange“.
Emotionale Worte können Zustände anderer am eigenen Leib spürbar machen, wie neuropsychologische Studien zeigen. Beispielsweise der Schulstress der Kinder bei den Eltern sowie der anderswo entstehende Stress der Eltern bei den Kindern, was sich jeweils in Worten ausdrückt.
Worte in der bedeutsamen Situation einer Psychotherapie handeln naturgemäß von Problemen, Leid, Störungen, Krankheiten.
Gleichzeitig gibt es die vielen Worte zu menschlichen Fähigkeiten als Motor für Entwicklung. Letztere gilt es, mit Worten anzukurbeln. Was aber sind dafür die bevorzugten Worte, Frageworte, Erkundungssätze? Welche Worte des Respekts, der Bestätigung, der Rollen zeugen hier von der Definition der Psychotherapie? Besonders bedeutsam ist, welche Worte mitten in der Problemfokussierung fallen und welche herausführen.
Dazu ist auch Folgendes zu beachten:
Was verstehen wir überhaupt unter dem Wort „Psychotherapie“?
Wird darunter „Krankenbehandlung“ oder „Entwicklungsprozess“ verstanden? Dies wandelt sich u.U. mit dem Zweck wie ein Chamäleon. Für eine kassenvertragliche Beantragung ist Ersteres erforderlich, für eine erfolgreiche Psychotherapie das Zweite.
Worte sind Verkürzungen, Reduktionen
Die „Leber von Zimmer 5“ bringt uns noch zum Lachen. Hingegen bei psychischen Diagnosen verwischt schnell, dass der Mensch „mehr“ ist als seine Diagnose. Was bedeuten Diagnosen hier? Wann sind sie vorbei? Und wer bestimmt das?
„Traumatisierte“ sind eben nicht nur und einheitlich gleich betroffen - ebenso wie „Behinderte“ nicht „behindert“ sind. Es sind Menschen mit Behinderung und Menschen mit Trauma-Erfahrung. Worte wie „Traumatherapie“ sind deshalb ungünstig.
Fortschrittliche Mediziner*innen lernen dabei von der Hypnotherapie für akute Situationen. Psychotherapeut*innen in ihrer Klinikausbildung und bei ihrer Berichtsbeantragung stehen hingegen zu sehr in einer kontextuellen medizinischen Prägung. So fragen sie routinemäßig bei einer Beantragung zur Psychotherapie zusätzlich z.B. Suizidalität ab mit der Implikation, dass diese selbstverständlich im Raum steht.
Patient*innen sind Menschen in einer bestimmen Rolle. Welche Worte halten sie darin? Welche Worte lösen die Transformation aus, die ermöglicht, wieder aus der Rolle herauszukommen? Patient*innen sind Menschen, die in Therapie sind und ggf. Medikamente nehmen. Manchmal halten wir unbeabsichtigt diesen Status und diese Rolle aufrecht. Zu oft gilt durch Folgetherapien: „einmal Patient*in - immer Patient*in“. „Woran werden Sie erkennen, dass Sie wieder die eigenen Gestalter*innen der Themen Ihrer Lebenssituation sind? Wie sähe das dann im Unterschied aus?“ Unworte in der Psychotherapie sind z.B. „austherapiert“. Besser wäre die Frage, worin die systemische Crux seitens der Patient*innen, Therapeut*innen, Angehörigen, Helfersysteme liegt, dass sich scheinbar nichts ändert und kein Entwicklungsprozess beginnt. Oder statt „Rentenneurose“ zu verorten, wäre besser zu erkunden, welche absolute Hilflosigkeit, welches starke Unrechtsempfinden an dieser Stelle kämpfen. Und um was geht es eigentlich? Statt zu sagen, jemand ist in der Therapie „angebunden“, wäre besser zu sagen, „Sie/Er macht die Therapie bei der Kolleg*in“.
Worte sind ein entscheidender Schlüssel, um Patient*innen zu aktiven Inhaber*innen ihrer Psychotherapie zu machen.

Foto von Philip Justin Mamelic
Wenn wir wissen, dass Selbstwirksamkeit, Aktivität, Zuversicht entscheidende Kriterien sind, wie ist das direkt schon zu veranlassen? Allein sie als Worte in einer Abfrage zu nutzen, lässt sie suggestiv wirken: „Wie viel Zuversicht geben Sie Ihrer Entwicklung? Was ist Ihr Einsatz zur Entwicklung? Wodurch ist das zu stärken?“
Mehr als „Verstehen“. Wir wissen, es kann nicht ein Eins-zu-eins-Verstehen geben, sondern nur prinzipiell menschliches Verstehen. Es geht also weniger um primäres Verstehen von Narrationen. Wäre es stattdessen besser durch aktives „Erkunden“ den anderen mit eigenen Antworten zum gestaltenden Umgehen und in zukünftige Entwicklung zu befähigen?
Deshalb erkundet das „Systemische Erkunden bzw. das Systemische Interview“ Patient*innen zu sich selbst. Das ist ein gravierender Unterschied zum fachlichen „Explorieren“ in einer Anamnese, bei dem darum geht, Einschätzungen für die fachliche Einordnung und fachliche Intervention zu bekommen.
Weiterführen des „Aktiven Zuhörens“: Wiederholen wir paraphrasierend mit Problemworten das aktiv Gehörte? Oder machen wir (nachsinnend angeboten) direkt daraus eine Frage? Beispielsweise „Was folgt aus dem Gesagten für Sie, wie es besser wäre?“
Konstruktivistisch, Wirklichkeit neu erzeugen durch Fragen: Diese Fragen haben günstige Aufforderungskraft in Entwicklung: Wir können die hypothetische Zielvorstellung aktivieren: „Angenommen, Sie sind dann angekommen, wie sähe das dann aus?“ Wir können den Auftrag klären: „Wozu, wohin, worin wollen Sie das ändern?“ Wir können skalierend Einordnen veranlassen: „Zu wie viel Prozent leiden Sie konkret darunter? Wie wichtig ist Ihnen die Änderung? Welche Veränderung brächte die Besserung mit sich?“
Wir können durch Draufsehen erweitern: „Von oben betrachtet, was sehen Sie mehr?“ Wir können Reinversetzen vorwegnehmen: “Dann angekommen - wie wird es dann anders sein?“ Wir können systemische Einbindung sehen: „Woran würden das die Anderen merken?“
Sich selbst mit Worten zurücknehmen und „Machen-lassen“: Sich selbst schon aktiv im Machen zu erfahren, hat eine starke Wirkung. Das führt dazu, Patient*innen s e l b s t zusammenfassen, kommentieren, veranschaulichen, Bilder finden z u l a s s e n. Beispielsweise „Was würden Sie sagen, ist ein gutes Bild dafür? Wie finden Sie das? Was nehmen Sie abschließend mit?“ Nimmt man das als Therapeut*in nicht schon (vor)weg und ermöglicht Patient*innen ihre eigenen Antworten, entstünde schon hier die Erfahrung, für sich selbst aktiv zu sein. Auch dadurch würde der eigene Prozess selbst sichtbarer, wenn Therapeut*innen ihn nicht mit ihren Worten und Ideen immer wieder unterbrächen.
Hypothesen nutzen: „Mach eine offene, konstruktivistische Frage daraus!“ Dies ist mein Lieblingsratschlag in der Supervision bei sich aufdrängenden Hypothese oder Ideen. Denn eine Frage gibt dem anderen wieder Entscheidungsfreiheit. Eine Frage mit offener Neugier auf die Antwort. Bestätigen oder Falsifizieren sind dann in der Hand der Patient*in. Wenn meine Hypothese beispielsweise ist, dass Patient*innen abhängig scheinen, dann passt dazu die Frage: „Für wie abhängig halten Sie sich in der Sache?“ Natürlich kann man u.U. nachhaken: „Wie sehen das andere? Wie ehrlich, wie stimmig ist diese Antwort? Was heißt das konkret an einem Beispiel?“
Fazit:
Worte machen also Wirklichkeit!
Der Buchtitel „Worte waren ursprünglich Zauber“ drückt diese Kraft der Worte aus. Das trifft nicht nur in akuten Situationen zu, sondern natürlich noch prägender im Rahmen einer ganzen Psychotherapie.
Hier möchte der vorliegende Artikel auch einen konkreten Hintergrund geben für die oft zitierte, hypnotherapeutische „Haltung“. Denn mit den so selbstverständlich fallenden Worten wird mehr ausgedrückt. Das suggestive Verständnis der oftmals unreflektiert verwendeten Worte ist ein Fundament der hypnotherapeutischen Arbeit in der Psychotherapie.

Foto von RDNE