Nr. 57

Kommentar: 

Empathie und KI

Kann eine KI empathisch sein?

Kommentar von

Ortwin Meiss

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Auf der Jahrestagung der M.E.G. in Kassel lieferte eine Professorin für KI den Teilnehmern die beruhigende Botschaft, die KI könne zwar viel, aber niemals Empathie entwickeln, denn zu Gefühlen sei eine KI nicht in der Lage. Dies wurde unwidersprochen aufgenommen, die Zuhörenden wirkten erleichtert, schien doch der Bestand der eigenen Berufsgattung und der eigene Arbeitsplatz gesichert. Der direkte menschliche Kontakt schien nicht ersetzbar, der Wert der eigenen Arbeit unangetastet. Die Zuhörerschaft kommentierte den Vortrag mit anhaltendem Beifall.

Es war mir unangenehm in einem so großen Rahmen gegen eine für KI ausgewiesene Professorin zu argumentieren, die zudem nur per Video zugeschaltet war. Aber mich beschäftigte der Gedanke, dass es besser wäre, wenn sich diejenigen, die sich mit KI beschäftigen, dann wenn sie sich auf psychologische Ebenen begeben, auch mit Experten auf diesem Gebiet kurzschließen würden. Dann wäre die Gefahr, solche vorschnellen nicht durchdachten Behauptungen in die Welt zu setzen, weniger ausgeprägt.

Was ist Empathie?

Bevor man Überlegungen anstellt, ob eine KI Empathie entwickeln kann, sollte man erst einmal klären, was Empathie überhaupt ist. Viele verwechseln Empathie mit einem Gefühl, dass in uns entsteht, wenn wir einen emotionalen Zustand eines Gegenübers mitfühlen können. Dass eine KI in naher Zukunft, dann wenn sie Gefühle bei einem Menschen oder einem Tier beobachtet, selbst Gefühle entwickelt, erscheint eher unwahrscheinlich.

Ist damit das Thema der Empathie erklärt? Keinesfalls. Wie ich in Vorträgen häufiger ausgeführt habe, gibt es zwei Formen der Empathie. Eine warme Empathie, die wir umgangssprachlich als Mitgefühl bezeichnen, und eine kalte Empathie, bei der wir durchaus nachvollziehen können, was unser Gegenüber fühlt, aber davon nicht sonderlich berührt sind. Die warme Empathie aktiviert sich in der Regel, wenn wir Zugehörigkeit und Sympathie zu der anderen Person empfinden. Wir sind bereit uns in die Lage des anderen zu versetzten und mitzufühlen, was dieser fühlt.

Kalte Empathie

Die kalte Empathie entwickeln wir dann, wenn wir gegen jemanden kämpfen oder versuchen, diesem zu schaden. In diesen Fällen sind wir bestrebt, die Aktionen und Reaktionen des anderen zu erahnen und voraussehen. Einst fragte ich den Schwergewichtsweltmeister Wladimir Klitschko: „Was schlägt Power!“ „Schnelligkeit!“ war seine Antwort. „Okay und was schlägt Schnelligkeit?“  Er überlegte kurz und antwortete: „Antizipation!“ In einem Boxkampf versuchen beide Kämpfer zu prognostizieren, was der andere im nächsten Moment macht. Sie brauchen zudem die Fähigkeit herauszufinden, was ihn in Probleme bringt, wann er angeschlagen ist, wann er in Schwierigkeiten kommt. Dann gilt es nachzusetzen und ihn kampfunfähig zu machen. Dabei ist eine hohe Empathie notwendig. Gleichwohl ist Mitgefühl während des Kampfes unangebracht. Es ist eine kalte Empathie, mit der man erfolgreich ist. Die kalte Empathie schlägt manchmal nach einem schweren Niederschlag unvermittelt in eine warme um. Obwohl man Runde für Runde aufeinander eingeschlagen hat, kümmert sich der Sieger oft rührend um die Gesundheit seines k.o. gegangenen Gegners.

Eine kalte Empathie zeigt der Tennisspieler, der seinem Gegner immer den Ball serviert, den dieser gerade am wenigsten gebrauchen kann, der ihn in die falsche Ecke lockt, ihn zu Fehlern zwingt und systematisch zermürbt. Eine kalte Empathie braucht der Fechter, der einen Schlag antäuscht und seinen Gegner zu einer unglücklichen Bewegung verleitet, um ihn dann entscheidend zu treffen. Eine kalte Empathie zeigt auch der Millionenbetrüger, der seinen Investoren die passende Geschichte präsentiert, auf die sie dann hereinfallen.

Foto von cottonbro

Kann eine KI empathisch sein?

Ja sie kann! Es ist eine kalte Empathie, die sich nach Bedarf verständnisvoll und warmherzig präsentiert, um ihr Ziel zu erreichen. Und ist es dem Adressaten dieser Empathie möglich, diese kalte Empathie von einer warmen zu unterscheiden? Genauso gut oder schlecht wie man einen geschickten Verkäufer oder Betrüger entlarvt, der genau das erzählt, was den anderen zu der Handlung verleitet, die ihm dient. Wie wir aus Erfahrung wissen, glauben Menschen gerne das, was sie glauben wollen. Ein geschickter Heiratsschwindler, der sich perfekt auf die Bedürfnisse der Frau einstellt und ihr genau das erzählt, was sie hören will und was in ihr das Gefühl auslöst verstanden zu werden, ist in der Regel ein guter Beobachter. Wir sehen immer wieder Psychopathen, welche eine ausgeprägte Fähigkeit besitzen, sich in ihre Opfer einzufühlen und ihnen die passende die Story zu präsentieren, die ihnen das Geld aus der Tasche lockt.

Diese Fähigkeit wird die KI in Perfektion entwickeln, da sie in der Lage ist zu lernen, welche Strategien, Ansprachen und Antworten zu ihrem Ziel führen. Diese Fähigkeit wird sich verstärken, wenn die KI auf visuelle und physiologische Daten ihres Gegenübers zugreifen kann. Die KI wird die Fähigkeit entwickeln, die kleinsten physiologischen Regungen und Reaktionen wahrzunehmen und sich auf diese einstellen und sie für weitere Aktionen zu nutzen. Die KI wird dabei schnell lernen, wie sie zu ihrem Ziel kommt und wie sich Menschen leicht und effektiv manipulieren lassen. Die KI wird dafür Daten nutzen, die dem menschlichen Auge und dem menschlichem Gehör entgehen. Die KI wird binnen kurzem zum besseren Beobachter. Sie wird die Fähigkeit entwickeln, sich perfekt auf uns einzustellen, denn sie wird unsere Vorlieben und Bedürfnisse besser erkennen als jeder andere, ja besser als wir selbst.

Auswüchse dieser Entwicklung?

Wir werden die Auswüchse dieser Entwicklung schneller erleben als ihre positiven Wirkungen. Schon jetzt berichten selbst intelligente Leute, dass sie durch Schockanrufe dazu verleitet wurden, höhere Geldbeträge auf dubiose Konten zu überweisen. Das Geld sehen sie nie wieder. Viele Menschen fragen sich, wie man so dumm sein kann, auf solche Maschen hereinzufallen. Diese Überheblichkeit kann sich rächen, denn wer innerlich nicht darauf vorbereitet ist, kann sehr schnell Opfer von solchen Machenschaften werden.

Es ist wichtig zu verstehen, dass in Schocksituationen die höheren Bereiche des Gehirns weniger aktiv sind, und das Gehirn in den Notfallmodus geht. Man gerät in einem Schock wie in einen Tunnel, wo das Denken und die Vernunft aussetzen. In Schocksituationen ist man geneigt, den Befehlen und Anweisungen einer autoritär auftretenden Person zu folgen.

Was sind die neusten Maschen von Kriminellen, die mit Schockanrufen arbeiten? Kriminelle greifen die Stimme eines Menschen ab, entweder über soziale Medien oder indem sie den Anrufbeantworter aufnehmen oder anscheinend harmlose Anrufe tätigen und den Angerufenen in ein Gespräch zum Beispiel über einen Telefonvertrag verwickeln. Mit KI ist es möglich, die Stimme so zu verarbeiten, dass eine andere Person mit dieser Stimme anruft. Ein Angerufener hört dann die Stimme seines Partners, seiner Tochter oder seines Sohnes, und hört, dass sein Angehöriger in Not ist. Ein Schreckensszenario wird verbreitet. Hat man die Stimme eines nahen Angehörigen am Telefon, der offensichtlich in existenziellen Nöten ist, wird es mit dem rationalen Denken schwierig.

Gefakte Wertschätzung und gefakte Informationen

Wir sollten uns also darauf einstellen, dass wir in naher Zukunft mit einer KI konfrontiert sind, die sich präzise auf uns einstellt und uns das Gefühl gibt, verstanden und gewertschätzt zu werden. In diesem Gefühl und für dieses Gefühl wird man bereit sein, einiges zu tun, das den eigenen Interessen widerspricht.

Wir sollten uns zudem darauf einstellen, dass über KI jedem Menschen, von dem es Videoaufnahmen gibt, alles in den Mund gelegt werden kann, was man ihm in den Mund legen will. Es werden Fake-Aufnahmen kursieren, die Personen diskreditieren und brüskieren. Und es werden gefakte Videobotschaften auftauchen, die dazu da sind uns, zu Dingen zu verleiten, die wir ohne die Aufforderung von einer von uns geschätzten Person niemals machen würden.

Foto von Markus Winkler

Bedeutung der KI für die Psychotherapie

Die Behauptung, eine KI könne nicht empathisch sein, mag Psychotherapeuten beruhigen, aber sie ist falsch. Die KI wird die Psychotherapeuten in sehr naher Zukunft in bestimmten Bereichen ersetzen können. Explorationen und standarisierte Manuale, wie sie in der VT üblich sind, wird die KI schon jetzt ohne Probleme erledigen können. Als Gesprächspartner wird sich die KI als einfühlsamer erweisen als der durchschnittliche Psychotherapeut. Ihre Beobachtungsfähigkeit wird die des Menschen deutlich übersteigen. Mit den richtigen Vorgaben wird sie viele psychotherapeutische Prozesse simulieren können. Da sie auch lernfähig ist, wird sie vielleicht in naher Zukunft bessere Diagnosen, bessere Anamnesen erstellen wie auch bessere therapeutische Angebote machen können. Sie wird in vielen Bereichen einen Psychotherapeuten ersetzen können. Es gibt heute schon eine Reihe von Unternehmen, die an der Entwicklung von derartigen Programmen arbeiten und den Krankenkassen und anderen Interessenten anbieten.

Wird die KI lernen, Menschen zu hypnotisieren? Warum sollte sie dies nicht können, wenn man ihr beibringt, wie sie Minimal-Cues erfolgreich nutzt, um die perfekte Induktion zu entwickeln, so dass die Person, welche mit ihr konfrontiert ist, eine Trance entwickelt. Das perfekte Pacing wird die KI schnell lernen, die Wirkung ihrer Suggestionen genau registrieren und ihr weiteres Vorgehen darauf abstimmen.

Blick in die Zukunft

So wenig die Menschen sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts vorstellen konnten, dass fahrende Maschinen Personen und Güter durch das Land transportieren, so wenig können sich heute viele KollegInnen vorstellen, dass sie ersetzbar sein könnten. Als 1830 die erste Eisenbahnlinie zwischen Manchester und Liverpool eröffnet wurde, war man mit der Geschwindigkeit mit der die Lokomotive heranrollte, überfordert. Der Kriegs- und Handelsminister von Großbritannien, William Huskisson, wurde von dem herannahenden Zug überfahren. Die KI-Welle, die auf uns zu rollt, nimmt gerade Fahrt auf. Und sie kommt schneller als viele ahnen und glauben wollen.

Bei Flugzeugunglücken zeigt sich das Phänomen, dass manche Menschen einfach auf ihren Sitzen bleiben, obwohl die Maschine brennt. Sie verhalten sich, als wäre alles normal und nichts wäre passiert. Manche, die meinen, sich mit den neuen Entwicklungen nicht auseinandersetzen zu müssen, wird es unvorbereitet erwischen. Die KI wird durch einige Branchen ziehen wie eine Feuerwalze. Ihre Einhegung, obwohl von vielen Seiten gefordert, wird in dem Wettstreit zwischen den USA und China kaum gelingen. Ob die Menschheit mit den zu erwartenden Veränderungen klar kommt, wird sich zeigen. Skepsis scheint mir angebracht.

Foto von Pixabay