Nr. 58

Artikel von

Daniel Löschinger
Transformation ist ein Wunder. In unserem hypnotherapeutischen Arbeiten begleiten wir regelmäßig Klient*innen dabei, sich innerlich und äußerlich zu wandeln. Gleichzeitig erleben wir mit dem menschengemachten Klimawandel eine vielen Menschen schier unbewältigbar erscheinende Krise, die uns auch persönlich überfordern kann. Wie können wir als Therapeut*innen resilient sein und unsere therapeutischen Ressourcen einbringen?
Ein wunderschöner Schmetterlingsflügel schmückt das diesjährige Design der M.E.G.-Jahrestagung. Wo sind Schmetterlinge Teil unseres Alltags? Wo erleben wir sie in ihrer vielfältigen Farbenpracht, sanft in der Luft tanzend oder auf Blüten und Bäumen ruhend? Voller Anmut verkörpern sie eine über 135 Millionen Jahre andauernde Evolutionsgeschichte und angelehnt an Milton H. Erickson könnten wir sagen: „It‘s really amazing what [nature] can do. Only they don‘t know what they can do.“
Wenn wir davon ausgehen, dass auch wir Menschen Teil der Natur sind, dann sind genau wir diejenigen, die uns der kleinen und großen Wunder des Lebens bewusst werden – und bewusst aus Liebe zum Leben handeln können. Genau darum ging es bei dem Workshop, den Dr. Kristina Wopat und ich bei der diesjährigen M.E.G.-Jahrestagung am 30. März 2025 in Kassel angeboten haben: Wie können wir als Therapeut*innen gleichermaßen einen individuellen und kollektiven Wandel begleiten, während wir – anders als bei manch anderen therapeutischen Themen – zutiefst selbst betroffen sind?
Charles Waldegrave sagt „als Therapeut*innen [...] sind wir wie Seismolog*innen der Gesellschaft. Frühzeitig spüren wir die Vorbeben gesellschaftlicher Veränderungen an den Leidensprozessen derjenigen, die sich uns anvertrauen. Und es ist unsere berufliche Verantwortung, dieses Wissen in gemeinschaftliches politisches Handeln zu verwandeln...“ Was brauchen wir also um A) für uns selbst zu sorgen, B) unsere Klient*innen zu begleiten und C) indirekt in die Gesellschaft hinein zu wirken? Sei es politisch direkt oder im Sinne eines Schmetterlingseffekts.
Einen indirekten Schmetterlingseffekt könnten wir z.B. ermöglichen, wenn wir Menschen im Rahmen unserer allgemeinen Anamnese danach fragen, wie es ihnen damit geht, was in der Welt passiert – und anbieten, dass dies einen Raum haben darf. So können wir dazu beitragen, dass diese Menschen ihren ansonsten womöglich aus Überforderung verdrängten Schmerz besser wahrnehmen, mit Bedürfnissen in Verbindung bringen und in Handlungen überführen können.

Bezugnehmend auf Tiefenökologie (nach J. Macy), auf Just Therapy (nach C. Waldegrave, K. Tamasese, F. Tuhaka und W. Campbell) sowie auf buddhistische Psychotherapie (nach Lama T. Allione) schlagen wir eine fünfstufige Spirale vor, die wir immer wieder durchlaufen können und uns so tiefer mit unserer Lebendigkeit verbinden:
- 1Dankbarkeit – wofür im Leben bin ich dankbar?
- 2Den Schmerz würdigen – als Ausdruck unserer Verbundenheit und dessen, dass uns etwas am Herzen liegt.
- 3Transformation – von der Ohnmacht zum gemeinsamen Machen.
- 4Die Welt mit neuen Augen sehen – z.B. aus der der Perspektive der siebten Generation nach uns, die den Wandel in eine lebenserhaltende Gesellschaft bereits vollzogen hat.
- 5Ins Handeln kommen – aus Liebe zum Leben in unserem persönlichen Wirkradius auf die Weise wirken, die uns selbst entspricht, und darauf vertrauen, dass wir auf diese Weise – wie die Flügel eines Schmetterlings als Anfang eines Schmetterlingseffektes – die Welt wandeln.
Konstanze Berg, die sich auch im Klimakontext mit der Wirkung von Bildern beschäftigt und wie Dr. Kristina Wopat und ich Teil der Klima AG der M.E.G. ist, bebilderte die Spirale – mit einem sich entfaltenden Farn und einem Schmetterling im Farbenkleid der diesjährigen M.E.G.-Tagung. Die Familie der Farne bewächst seit über 350 Millionen Jahren die Erde und die Māori symbolisieren mit dem sich entrollenden Silberfarn („Koru“) das sich entfaltende neue Leben, Hoffnung für die Zukunft und den Prozess der Erneuerung.
Zu allen fünf Phasen der Spirale haben wir hypnotherapeutische Methoden und inspirierende Zitate gesammelt und in Form von Erweiterungskarten zu der 2024 im Junfermann-Verlag erschienenen Kompetenz!Box „Ängste hypnotherapeutisch behandeln“ zusammengestellt. Wer sich für diese Karten interessiert, kann sich sehr gerne melden unter psychotherapie-loeschinger(at)posteo.de (das „(at)“ bitte durch das Klammeraffernzeichen ersetzen).
Wie können wir als Therapeut*innen erste Schritte in Richtung eines (Klima-)Wandels in der Psychotherapie machen? Wir können selbst die Spirale durchlaufen, idealerweise gemeinsam mit befreundeten Kolleg*innen – zunächst ressourcenorientiert und spielerisch, mit einem Fokus auf Dankbarkeit und „die Welt mit neuen Augen sehen“ (z.B. einen Brief an uns selbst schreiben aus Perspektive einer Pflanze, um die wir uns sorgen, und die zugleich Teil aller Pflanzen ist; oder aus Perspektive einer Person, die in der siebten Generation nach uns lebt in einer Gesellschaft, die den Wandel zu einer lebenserhaltenden Gesellschaft bereits vollzogen hat). In der zweiten Phase der Spirale könnten wir dabei anerkennen, dass wir möglicherweise unseren Schmerz verdrängen, und würdigen, wofür ein Nicht-Fühlen auch hilfreich ist.
Je tiefer wir selbst mit unserer Lebendigkeit verbunden sind, desto leichter können wir schließlich andere begleiten, die Spirale zu durchlaufen. Und wir können – wenn es zu uns passt – auch dadurch ins Handeln kommen, indem wir unsere individuellen Talente und Interessen in die Klima AG der M.E.G. oder die Arbeit der Psychologists & Psychotherapists for Future einbringen.

Foto von Kourosh Qaffari